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Target2 und Euroaustritt – ein „Pulverfass“?

Target2-Salden entstehen durch grenzüberschreitende Buchungsvorgänge, und auch nur deshalb, weil trotz der Währungsunion weiterhin nationale Zentralbanken existieren statt nur die EZB. Bei einem grenzüberschreitenden Transfer zwischen Geschäftsbanken, welcher über die jeweiligen nationalen Zentralbanken abgewickelt wird, fließen sowohl Depositen (Passivseite) als auch Reserven (Aktivseite) von der italienischen Bank A zur deutschen Bank B (vermittelt über die jeweiligen nationalen Zentralbanken). Dadurch entsteht aber eine Differenz zwischen Aktiv- und Passivseite der jeweiligen Zentralbankbilanz – die Banca d’Italia hat also dieselben Assets wie zuvor, jedoch weniger Reserven, folglich einen Saldo auf der Passivseite. Entsprechend umgekehrt ist es bei der Deutschen Bundesbank. Gäbe es lediglich die EZB, wäre dieses ganze Problem völlig unbekannt, kein Ökonom würde Alarm schlagen, keine Zeitung darüber schreiben. Normalerweise stehen bei einer nationalen Zentralbank den Reserven (plus Bargeld) entsprechende Vermögensgegenstände gegenüber, also vor allem Wertpapiere oder Forderungen gegenüber nationalen Geschäftsbanken. Durch den Zufluss von Reserven an deutsche Geschäftsbanken, die die Deutsche Bundesbank gar nicht geschaffen hat, sondern die durch Überweisung nach Deutschland gekommen sind, entsteht eine T2- “Forderung” der Bundesbank auf der Aktivseite, die man als Forderung gegenüber der EZB betrachtet. Umgekehrt ist es bei der Banca d’Italia, die eine T2- “Verbindlichkeit” gegenüber der EZB hat. Zunächst einmal kommt die Sprechweise von “Forderung” und “Verbindlichkeit” durch die übliche Interpretation der Aktiv- und Passivseite einer Bilanz zustande. Faktisch hat sich die Banca d’Italia aber gar keine Mittel von der Bundesbank “geliehen”, schon gar nicht hat “Deutschland” Geld an “Italien” verliehen, welches dieses Geld irgendwie verjubelt hat (auch wenn das gescheit klingt wie „… zur Finanzierung des Zahlungsbilanzdefizits“). Die Interpretation der T2-Salden als „Kredit“ ist also zu recht sehr umstritten. Ich lehne sie ab.

Die Sorge ist nun, dass im Fall des Austritts eines T2- “Schuldner”-Landes aus der EWU man diese Salden ähnlich wie einen faulen Kredit  „abschreiben“ muss, da es sich nicht um eine werthaltige Forderung handelt. Schließlich wird das Land ja aufgrund großer finanzieller Probleme ausgetreten sein und daher weder in der Lage noch willens sein, einen Saldo zu begleichen. Müsste die Bundesbank eine riesige T2- “Forderung” abschreiben, so wäre ihr Eigenkapital mehr als aufgebraucht, es würde negativ werden. Das wäre an sich nicht unbedingt ein Problem (im Unterschied zu einer Geschäftsbank, die dann insolvent wäre), aber man würde dies vermeiden wollen, indem man den T2-Saldo als reinen Buchungsposten einfach stehen ließe. Im Fall, dass die „Billionen-Forderung“ abgeschrieben würde, müsste gegebenenfalls die Bundesbank durch den – Gott bewahre! – deutschen Steuerzahler rekapitalisiert werden. Das ist das Schreckensszenario, das kürzlich wieder durch die Tageszeitungen ging (wie immer mit der löblichen Ausnahme der sehr sorgfältigen Kolumnen von Gerald Braunberger in der FAZ).

Klar ist, dass die Banca d’Itlaia Teil des ESZB ist und die Wertpapiere auf ihrer Aktivseite dem ESZB gehören. Steht als Gegenbuchung nun ein T2-Saldo in ihrer Bilanz, so entsteht dann – und nur dann und in diesem Moment – eine Forderung des ESZB auf Rückübereignung der Wertpapiere in Höhe des T2-Saldos, als Folge des Austritts aus dem ESZB. Es kann ja nicht sein, dass die Banca d’Italia nach einer Währungsreform ihre Reserven in Lira umwandelt und die Wertpapiere, denen ja Euro-Forderungen der Banken gegenüberstehen, einfach als Anfangskapitalausstattung behält. Es ist aber davon auszugehen, dass in der Banca d’Italia vernünftige Leute mit Expertise sitzen, die genau wissen, dass man auch nach Austritt Italiens aus dem Euro den Zahlungsverkehr mit der Eurozone aufrechterhalten muss. Dies würde durch das eben skizzierte Vorgehen, welches spiegelbildlich die „Abschreibung einer Billionenforderung“ auf der Bundesbankbilanz zur Folge hätte, stark gefährdet und würde Italien wirtschaftliche vom Euroraum abschneiden.  Interessanterweise sind es ja oft dieselben Ökonomen, die vor einer T2-Katastrophe warnen, die sich auch für einen Austritt der Südländer aus dem Euro stark machen mit dem Hinweis, dass es dann für diese – per Abwertung und dadurch Stärkung des Exportes – so viel leichter wäre. Das setzt aber voraus, dass der Zahlungsverkehr mit der Eurozone reibungslos funktioniert. Das auch jüngst in der FAZ vom Sinn angeführte Erpressungspotenzial der T2-Salden (Motto: „Schuldenschnitt bzw. Transferunion oder wir lassen Eure T2-Forderung platzen!“) relativiert sich somit, da zur Aufrechterhaltung des Zahlungsverkehrs eine einvernehmliche  Lösung gefunden werden muss:

Wie könnte es nach einem Austritt z.B. Italiens aus der EWU weitergehen? [Update/Korrektur]

Wir gehen davon aus, dass es zu diesem Zeitpunkt kein “Clearing” geben wird, d.h. die Banca d’Italia den T2-Saldo nicht durch Transfer entsprechender Wertpapiere an die Bundesbank (via EZB) ausgleichen wird. Die folgenden Überlegungen stellen eine Möglichkeit dar, die eine entsprechende Änderung des rechtlichen Rahmens notwendig macht. Im Fall des Euroaustritts ist aber ohnehin eine rechtliche Regelung notwendig. Ich gehe davon aus, dass der T2-Saldo zunächst einfach auf der Passivseite der Banca d’Italia stehenbleibt, während alle Reserven sowie das Bargeld in Lira umgewandelt werden. Die Banca d’Italia (und die italienische Wirtschaft und selbst populistische Regierungen) wird ein vitales Interesse daran haben, den Zahlungsverkehr zwischen Italien und dem Euroraum weiterhin zu gewährleisten. Dies kann durch einen vorübergehenden Verbleib im TARGET-System geschehen, solange noch Salden offenstehen.

Wenn es dann zu einer Überweisung von Deutschland nach Italien kommt, verringern sich die Euroreserven auf der Bank- sowie der Bundesbank-Bilanz – und der dort befindliche T2-Saldo ebenfalls. Wie der Empfang von Euroreserven sich dort auf das Verhältnis zwischen Geschäftsbank und Banca d’Italia auswirkt, sei dahingestellt. Die Banca d’Italia könnte z.B. die Euroreserven der italienischen Geschäftsbank in Lirareserven umtauschen, wobei dann bei ihr ein Passivtausch der T2-Verbindlichkeiten gegen Lira-Reserven stattfindet. Auch ihr T2-Saldo verringert sich.

Die umgekehrte Überweisung von Italien nach Deutschland würde man asymmetrisch behandeln: es werden von der italienischen Bank nur Euroreserven für den Transfer akzeptiert, die diese (bzw. die Banca d’Italia) zuvor bei der einer deutschen Geschäftsbank (bzw. der Bundesbank) mittels Tausch gegen Wertpapiere erworben hat. Auf diese Weise wird sich – anders als im bisherigen TARGET-System – der T2-Saldo zumindest nicht erhöhen. Man könnte diesen Vorgang auch daran koppeln, dass die Banca d’Italia einen Aufschlag von sagen wir 5% zahlt, also für einen 100 Mio-Transfer Wertpapiere für 105 Mio überträgt, die den bestehenden T2-Saldo um 5 Mio verringert. Auf diese Weise würde sich bei jedweder grenzüberschreitenden Zahlung der T2-Saldo ein Stückchen verringern. Ist dieser irgendwann Null, so kann man auf das symmetrische System übergehen, wie es auch sonst üblich ist, und Italien tritt aus dem TARGET-System aus. Selbst wenn sich der letztgenannte Aufschlag bei Überweisungen von Italien nach Deutschland politisch nicht durchsetzen ließe, so würden zumindest die Zahlungsvorgänge in die andere Richtung den T2-Saldo abschmelzen.

Das von einigen Ökonomen beschworene „Erpressungspotenzial“, weil Italien mit der Drohung der „Nichtrückzahlung der T2-Schulden“ beinahe jede Forderung durchsetzen könne, kann man auch genau umkehren: Solange noch ein T2-Saldo besteht, muss sich die Banca d’Italia auf die skizzierte technische Regelung einlassen, wenn Italien nicht vom Euroraum abgeschnitten werden will. Das dürfte wohl im beiderseitigen Interesse liegen.  Der Saldo wird dann so zurückgeführt, wie er entstanden ist: allein durch grenzüberschreitende Zahlungsvorgänge. So ganz ohne Katastrophe. Man kann nur hoffen, dass im Fall eines Austritts pragmatische Zentralbanker auf beiden Seiten die Sache in die Hand nehmen und nicht so manche deutsche Leitartikler.

ESBies: Ein Instrument zur Reduktion von Risiken im Eurosystem

[Siehe Follow-Up am Ende des Beitrags]

Im Folgenden geht es um zwei mehr oder weniger voneinander unabhängige Risiken im Eurosystem, nämlich erstens um die Bilanzrisiken der EZB aufgrund des Quantitative Easing (QE), und zweitens um die enorm hohen TARGET2-Salden im Eurosystem (siehe ausführliches Papier hier). QE hat die ESZB-Bilanz stark ausgedehnt. Mir geht es hier nicht um eine kritische Würdigung der unkonventionellen Maßnahmen insgesamt, sondern ausschließlich um das Problem, dass zum einen eine kurz- bis mittelfristige Rückführung der Geldbasis kaum möglich erscheint. Werden Staatspapiere fällig, so verringert sich zwar die Geldbasis automatisch, aber die Fälligkeit der meisten Papiere liegt in ferner Zukunft. Dieser Automatismus ist also für eine Exit-Strategie wenig geeignet. Ein massiver Verkauf der Papiere ist wegen des dadurch erzeugten Preis- und Zinsdrucks ebenfalls kaum möglich. Zum anderen besteht das Risiko, dass im Fall der Zahlungsunfähigkeit oder auch nur der Erwartung höherer staatlicher Budgetrisiken die Preise der bereits gekauften und bilanzierten Papiere fällt, und die EZB somit zu hohen Abschreibungen gezwungen sein wird. Aus dem Grund hat sie bereits Rückstellungen gebildet. Da die EZB formal nicht insolvent werden kann (d.h. auch mit negativem Eigenkapital durchaus weiterarbeiten kann), sollte dieses Risiko nicht dramatisiert werden. Aber erstrebenswert ist es nicht.

Nun haben bereits vor ein paar Jahren Brunnermeier et al. (2011, 2016) einen Vorschlag entwickelt, nämlich die Konstruktion eines European Safe Bonds (ESBies), einem Derivat, hinter dem ein ein Pool aus Staatsanleihen europäischer Länder steht. Im Grunde funktioniert das Instrument wie jedes Asset Backed Security (ABS) durch den Pooling-Effekt: das Ausfallrisiko des Derivats ist überschaubar, da der gleichzeitige Ausfall gleich mehrerer Staaten unwahrscheinlich ist, und die Risikoprämie entsprechend etwas kleiner ist als im Durchschnitt der einzelnen darin enthaltenen Titel. Die Autoren schlagen vor, dieses Derivat in Tranchen aufzuteilen – auch dies ähnlich wie bei anderen ABS. Die Senior Tranche ist dabei so konstruiert, dass sie den Zinssatz (und Risikoprämie) des besten darin enthaltenen AAA-Bonds hat (z.B. eine deutsche Staatsanleihe). Risiko und Zinssatz der  Junior Tranche ist entsprechend höher. Im Grunde nutzt man die Möglichkeiten der Finanzintermediationstechniken für die Finanzierung europäischer Staaten geschickt aus, und schafft dabei ein europaweites hochliquides Finanzinstrument. Um voreiligen Schlüssen vorzubeugen: Nein, dies ist kein Eurobond im Sinne einer “Vergemeinschaftung von Schulden”! Die Staaten sind für ihre eigenen Schulden verantwortlich. Kein Staat kann ESBies herausgeben und sich darüber finanzieren, oder über dieses Instrument Risiken auf andere abwälzen. Ändern sich Risiken einzelner Staaten, ändert sich entsprechend die Performance des ESBies und die begebende Institution muss ggf. entsprechend die Struktur des ESB und das Tranching anpassen. Es ist strenggenommen noch nicht einmal ein politischer Akt der Einführung von ESBies notwendig, denn der Markt selbst könnte ohne weiteres ungefragt solche Derivate produzieren. Denjenigen Deutschen, die bei der Wortkombination “Euro” und “Bond” bereits aufhören zu lesen und zu protestieren anfangen, entgehen leider ein paar erhellende Einsichten.

Man kann sich nun vorstellen, dass eine Institution (ein “Special Purpose Vehicle” im öffentlichen Auftrag oder auch private SPV) in großen Stil Staatspapiere zum Beispiel aus Beständen des ESZB, aber auch von anderen Anlegern aufnimmt, poolt, in eine sichere Senior-Tranche (ESBie) und einer riskante Junior-Tranche verwandelt, und an interessierte Anleger weiterverkauft, z.B. wiederum Zentralbanken, Banken oder Fonds. Aufgrund des Pooling-Effekts dürfte für renditeorientierte Anleger eine Junior-Tranche vielleicht interessanter sein als direkt eine griechische Staatsanleihe zu kaufen (die aber gleichwohl zu einem gewissen Prozentsatz in der Tranche enthalten ist). Die Senior-Tranchen könnten als Sicherheit von Banken gehalten werden. Gegebenenfalls kann man deren Nachfrage nach Senior-ESBies sogar erzwingen, indem das ESZB diese als Sicherheiten für Refinanzierungsgeschäfte verlangt. Auf diese Weise könnte die EZB auch vor Fälligkeit in größerem Umfang Staatspapiere loswerden ohne diese direkt auf Sekundärmärkten verkaufen und somit Preisdruck hervorrufen zu müssen. Im Januar 2017 hat Gerald Braunberger diesen Gedanken des Brunnermeier-Papiers bereits in der F.A.Z. sehr schön diskutiert. Sofern Banken diese ESBies dann kaufen (und entsprechend mit Reserven bezahlen), sinkt die Geldbasis. Dies würde der EZB sehr viel mehr Flexibilität für eine mögliche Exit-Strategie aus ihrem QE-Programm bringen.

In diesem Beitrag gehe ich noch einen Schritt weiter: Diejenigen ESBies, welche nicht an Banken verkauft werden, verbleiben in den Bilanzen der EZB sowie der nationalen Zentralbanken. Da es sich um ein europaweit einheitliches liquides Finanzprodukt handelt, wäre es möglich, ähnlich wie im amerikanischen Fed-System, einen Clearing-Mechanismus bei grenzüberschreitendem Zentralbankverkehr einzubauen. TARGET2-Salden entstehen durch grenzüberschreitende Zahlungen, da mit einer Überweisung von Bank A aus Land X zu Bank B in Land Y nicht nur die Depositen, sondern auch die entsprechenden Reserven von Bilanz A in die Bilanz B wandern. Findet der Transfer innerhalb eines Raumes mit nur einer Zentralbank statt, so würde dieselbe Reservemenge von Bank B statt Bank A bei der Zentralbank gehalten. Da aber Banken nur Refinanzierungsgeschäfte mit ihrer jeweiligen nationalen Zentralbank tätigen, ergibt sich auf Zentralbankebene nun ein Saldo (TARGET2), da die Aktivseiten der nationalen Zentralbanken bei diesem Transfer unberührt bleiben und somit dieser Saldo entsteht. Derzeit hat die deutsche Bundesbank enorm hohe “Forderungen” gegenüber südlichen Zentralbanken, etwa der griechischen, wobei der Terminus “Forderung” eine Interpretation als “Kredit” oder gar “Kredit aus der (elektronischen) Notenpresse”(H.-W. Sinn) nahelegt. Das ist jedoch umstritten ist, denn weder geht davon eine Finanzierungswirkung für jemanden aus Land X aus, noch implizieren die salden-bedingte Verlängerung der Zentralbankbilanzen eine Geldmengenerhöhung (siehe dazu Burgold und Voll (2012)). Der TARGET2-Saldo ist nicht eine Finanzierungsvoraussetzung, damit der griechische Importeur (per “elektronischem Kredit”) die deutsche Ware kaufen kann (“wir” also “deren” Leistungsbilanzdefizit finanzieren), sondern ist vielmehr Resultat einer Zahlung, die der Importeur möglicherweise aus eigenen Mitteln finanzieren konnte. Diese Debatte soll aber hier nicht das Thema sein.

Würden alle nationalen Zentralbanken ESBies halten, so würden bei grenzüberschreitendem Zahlungsverkehr die ursprünglichen “Forderungen”, welche bei der nationalen Zentralbank in Land X denjenigen Reserven gegenüberstehen, die nun in Land Y geflossen sind, eben auch die entsprechenden Forderungen in gleicher Höhe in Gestalt von ESBies an die Zentralbank in Land Y übertragen. So wie zwischen Geschäftsbanken stets Depositen und Reserven von einer Bilanz zur anderen überwiesen werden, werden nun Reserven und ESBies von einer Zentralbankbilanz zur anderen überweisen. Ein TARGET2-Saldo würde nicht entstehen (oder nur temporär, wenn Zentralbank X momentan nicht über genügend ESBies verfügt und sich diese erst am Markt beschaffen muss). Ein permanentes Clearing wäre die Folge, was Ähnlichkeiten zum amerikanischen Fed-System aufweisen würde (siehe Voll (2014)). Der Austritt aus der Währungsunion wäre nicht mehr mit verbleibenden “Forderungen” gegenüber der austretenden Zentralbank verbunden.

Auch die sehr hohen Bestände von TARGET2-Salden ließen sich ohne Effekte auf die Basisgeldmenge reduzieren: Zentralbank X müsste entweder einen Teil seiner Staatspapiere in das “Special Purpose Vehicle” auslagern und in ESBies umtauschen (Aktivtausch), anschließend an die Zentralbank in Y transferieren und den existierenden Saldo glattstellen. Soll die Menge an ESB ebenfalls konstant bleiben, so könnte Zentralbank X Aktiva mit Geschäftsbanken tauschen, sofern letztere bereit wären, ESB gegen die von Zentralbank X gehaltenen Aktiva zu tauschen. Das wäre sicherlich eine Frage des Preises, aber im Prinzip möglich. Man kann auch daran denken, auch Junior-ESB einzubeziehen.

Ein weiterer Vorteil wäre, dass nationale Geschäfts- und Zentralbanken nicht auf das Halten heimischer Staatsanleihen fixiert wären. Dies führt nämlich zu einem “diabolic loop”, weil Zweifel an der staatlichen Zahlungsfähigkeit zu einem Preisverfall deren Papiere führt und damit die nationalen Banken in Bedrängnis bringt, so dass wiederum teure staatliche Bankenrettungsmaßnahmen nötig werden können. Wie Brunnermeier et al. zeigen, sind ESB ein Instrument, diese Zirkularität zu durchbrechen.

Brunermeier et al. (2016) haben diesen Vorschlag mit empirischen Daten in aufwändigen Simulationen durchgerechnet um die Eigenschaften der ESBies und Junior-Tranchen für unterschiedliche Risiko-Szenarien zu untersuchen. Zwar ist richtig, dass viele Menschen seit der Finanzkrise eine Gänsehaut bekommen, wenn sie auch nur “Derivate”, “Asset Backed Securities”, “Tranching” oder “Hedging” hören, aber es ist zu hoffen, dass geldpolitische Entscheidungsträger und Europapolitiker genügend Expertise haben um zu erkennen, dass man die Vorteile von Finanzintermediation nicht einfach links liegen lassen, sondern nutzen sollte.

[Follow-Up: Kommentar zum Gastkommentar von Ludger Schuknecht und Levin Holle in der FAZ vom 23.11.2017]

In der FAZ-Überschrift und im Teaser ist von ESBies als „Euro-Anleihen“ und „Schuldenvergemeinschaftung“ die Rede. Das ist irreführend! Mit ESBies werden keine neuen Anleihen begeben, die dem Staat Geld bescheren, und von einer „Vergemeinschaftung“ im Sinne einer gemeinschaftlichen Haftung kann nicht die Rede sein, im Gegenteil. ESBis werden so schon nach wenigen Zeilen in unmittelbare Nähe zu Eurobomds gerückt, wo der Durchschnitts-FAZ-Leser bereits aufhört zu lesen und negativ voreingenommen wird. Man kann nur hoffen, dass nicht die Autoren selbst, beide hochrangige Mitarbeiter des BMF, diese Begriffe gewählt haben.

Die Autoren befürchten, dass es sich um ein „Schönwetterkonstrukt“ handelt, und im Krisenfall eines Staates die Nachfrage nach Junior-Tranchen versiegt und so eine Emission von ESBies nicht mehr möglich sei. Zum einen zweifeln sie damit die ausführlichen Simulationen von Brunnermeier et al. an, die genau die Auswirkungen solcher Krisenfälle untersucht haben. Da hätte man schon gerne gewusst, wie die Autoren zu dieser abweichenden Einschätzung kommen. Zum anderen betrifft ihr Argument in erster Linie die Neu-Emission von ESBies, da im Krisenfall lediglich die Junior-Tranchen an Wert verlieren werden. Bei der Neu-Emission würde sich aber die Portfoliozusammensetzung und der Tranching-Punkt entsprechend der neuen Situation anpassen. Papiere von Krisenstaaten hätten dann ein geringeres Gewicht oder fallen ganz heraus.

Die Autoren bemängeln, dass ESBies nicht das verfügbare Volumen an sicheren liquiden Anlagen erhöhen, da ja in entsprechendem Umfang die emittierende Institution sichere Staatsanleihen vom Markt weggekauft hat. Das allerdings ist trivial. Es ist auch gar nicht der vorrangige Zweck von ESBies, in großen Stil zusätzliche sichere Assets bereitzustellen, aber ein über Ländergrenzen hinweg einheitliches Asset (was zumindest einen gewissen Einfluss auf die Liquiditätsprämie haben dürfte, da die Marktsegmentierung abnimmt). Zudem scheinen die Autoren zu übersehen, dass der Sinn der Übung doch gerade die Nutzung des Pooling-Effektes ist: die Assets, die schon zuvor ein AAA-Rating hatten, gehen nun in einem synthetischen Asset auf, welches ebenfalls dieses Rating hat. Durch Pooling und Tranching jedoch können auch AA, oder A-Papiere zu dem synthetischen Papier beitragen, wodurch sich eben doch der Gesamtumfang von AAA-Papieren (wenn auch nicht dramatisch) erhöht. Auch verstehe ich die Logik nicht ganz, weshalb dieses Argument gegen ESBies spricht.

Schließlich bemängeln die Autoren, dass ein synthetisches Konstrukt komplexer, intransparenter, und daher risikoreicher sei. Man sei auf das Risikomanagement des Emittenten angewiesen. Wir sprechen hier von Staatsschuldverschreibungen und klaren transparenten Regeln nach dem ESBies Handbook, das alles möglicherweise überwacht und zertifiziert durch öffentliche Institutionen. Die Zielgruppe der Abnehmer sind Banken des Euroraums sowie (Geldmarkt-) Fonds, nicht so sehr Oma Paschulke, oder Zeitungsleser, bei denen sich beim Wort „synthetisches Derivat“ schon Verwirrung einstellt. Die Autoren meinen, dass deshalb wohl eine regulatorische Privilegierung notwendig sei, diese jedoch „nicht gewollt sein kann“. Da liegt wohl ein Missverständnis vor, denn genau das ist durchaus gewollt. Wenn ESBies als Standard-Asset in Bankbilanzen verwendet wird, z.B. weil diese als Sicherheit für Offenmarktgeschäfte gefordert sind, oder weil diese, wie bisher schon AAA-geratete Staatsanleihen, keine Eigenkapitalanforderung benötigen, dann wird z.B. der „Diabolic Loop“ durchbrochen, wie Brunnermeier et al. argumentieren, und dann ergeben sich auch die potenziellen Vorteile, die ich weiter oben beschrieben habe. Ich sehe nicht, weshalb man die Vorteile der Finanzintermediation einfach ungenutzt lassen sollte.

Als Alternative und letztlich besseren Weg zur Stabilität im Euroraum schlagen die Autoren zwei Banalitäten vor: (i) die adäquate Risikobepreisung auch von Staatsanleihen mit entsprechenden Eigenkapitalanforderungen in Bankbilanzen. Das ist natürlich ein sehr guter Vorschlag und wird von Ökonomen schon lange eingefordert. Er spricht aber nicht gegen ESBies, die eben genau aufgrund eines solchen Schritts attraktiver werden würden, zumindest bei Banken, die bislang nur B-Staatsanleihen in ihrer Bilanz halten. (ii)  Die Staaten sollten für solide Staatsfinanzen sorgen. Ach du meine Güte, ja wer soll denn da etwas dagegen haben. Die ESBies sind ja nun wahrlich kein Instrument, das als Alternative zu soliden Staatsfinanzen gedacht ist. Wer unsolide wirtschaftet, dessen emittierte Anleihen werden in stetig sinkendem Maß im ESBie-Portfolio berücksichtigt, so dass Staaten gerade einen Anreiz zu soliden Staatsfinanzen haben sollten. Diese Vorschläge der Autoren werden bei FAZ-Lesern reflexhaften Beifall hervorrufen. Aber es ist ungefähr so, als würden Herzchirurgen über die Vorteilhaftigkeit einer neuen Generation von Herzkathedern diskutieren, und einer lehnt diese pauschal ab, weil es doch viel besser sei, wenn potenzielle Patienten vorher mehr Sport treiben würden.