„Läuft nicht!“ – Eindrücke von der Demo am 3.10.15 in Jena

Wieder einmal haben rechtsextreme Gruppen einen Aufmarsch in Jena angemeldet, und wieder einmal hat ein Aktionsbündnis eine Gegendemonstration organisiert, die die Marschroute der Rechtsextremen blockieren sollte. Eine sehr gute Sache, für eine offene, demokratische, tolerante Gesellschaft einzutreten, die sich auch Flüchtlingen gegenüber offen und freundlich zeigt. Stadtrat und Universitätsleitung unterstützten die Gegendemonstrationen.

Und so stand ich einer Gruppe, die mit Transparent und VW-Bus den Zugang von der Grietgasse zum Holzmarkt blockierten. Begrenzt wurde die Blockade von einer engen Reihe Polizisten, die ein Vordringen auf die Grietgasse – einem Teil der Marschroute der Rechtsextremen – verhinderten. Der Paradiesbahnhof, auf dem ein Großteil der Nazis und Sympathisanten ankommen sollten, war ebenfalls mit Gegendemonstranten besetzt, wir hatten sie von unserer Position aus im Blick. Wie es der Zufall wollte, stand ich plötzlich ganz vorne und hielt das breite Transparent, das für eine offene Gesellschaft und gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus warb und mit Art. 1 GG in bunten Lettern versehen war. Etwas seltsam die Stimmung, Auge in Auge mit der Kette hochgerüsteter Polizisten zu stehen, die hier ihre Aufgabe der Durchsetzung des Rechts und der öffentlichen Sicherheit wahrnehmen, und also ein notwendiger Bestandteil eben jener Gesellschaftsordnung sind, für die ich mit meinem Demonstrationsanliegen eintrete. Gleichwohl ist die Stimmung und Meinung einiger Gegendemonstranten, dass die Polizei hier vorrangig die Nazis schütze und ihnen den Weg frei machen wollen, mithin also Ausdruck eines „repressiven Systems“ seien. Ich hingegen sehe Polizisten als „natürlichen Verbündeten“ im Kampf für den Erhalt der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und möchte sie ohne Provokationen ihren Job machen lassen. Unter der Schutzweste und dem Helm mit Visier könnte mein Nachbar stehen, der politisch ähnlich denkt wie ich.

So unangenehm die Wahrheit auch sein mag: auch Nazis haben Demonstrationsrecht. Sie haben die Demo angemeldet und so entsteht eine Rivalität nicht nur in der geäußerten Meinung, sondern auch physisch um den Platz auf der Straße. Das Demonstrationsrecht kann in einem liberalen Rechtsstaat nicht nach Gesinnung in Anspruch genommen oder verwehrt werden. Staatliche Organe, von der Genehmigungsbehörde bis zur Polizei, sollen nach dem Gesetz und nicht nach Gutdünken, politischer Korrektheit oder Gesinnung entscheiden. Das wäre ansonsten ein erheblicher Schritt in Richtung eines illiberalen und nach Willkür handelnden Staates, den ich gerade nicht will. Wenn man in diesen extremen Gruppierungen eine Gefahr für den Staat sieht, muss man eben ein kompliziertes, jedoch nach rechtsstaatlichen Prinzipien organisiertes transparentes Verbotsverfahren anstrengen, was aber nur die ultima ratio sein sollte. Ansonsten muss ein Rechtsstaat darauf setzen, dass seine Bürger für den Erhalt ihrer Werte und Rechte gegen extreme Kräfte auf die Straße gehen.

Natürlich geschehen Fehler, wo auch immer Menschen am Werk sind, vor allem wenn großer Stress vorhanden ist. So kann man sicherlich den Einsatz von Hunden, Reizgas und Wasserwerfern bei der Räumung der Blockaden am Paradiesbahnhof als unverhältnismäßig kritisieren. Aber es ändert nichts an dem Prinzip, dass staatliche Gewalt nach Regeln ausgeübt wird und eben nicht willkürlich. Daher sehen hier viele Flüchtlinge in Deutschland geradezu paradiesische Zustände, da Polizisten im Alltag nicht einfach willkürlich Leute zusammenschlagen, um ihre Macht zu demonstrieren, willkürlich inhaftieren, oder gegen Bezahlung wegzuschauen.

Die Musik aus den Lautsprechern des VW-Busses wechselt und wirkt auf mich ziemlich aggressiv und aufpeitschend. Ich frage mich, ob das wirklich nötig und zielführend ist, wenn man Polizisten und später dann auch Nazis gegenübersteht. Wollen wir denn nicht gerade ein friedliches, freundliches, weltoffenes Deutschland verteidigen? Ich stelle mir vor – was natürlich utopisch ist – den dumpfen menschenfeindlichen Parolen grölenden Nazis über Lautsprecher Bachs Matthäus-Passion gegenüber zu stellen. Oder den Schlusssatz von Beethoven 9. Sinfonie, in der der Chor „Alle Menschen werden Brüder…“ singt – irgendetwas, das Positives, Menschliches ausdrückt. Stattdessen legen die Organisatoren nun „Macht kaputt was euch kaputt macht“ von Ton Steine Scherben auf und andere aggressive, angeblich system- und kapitalismuskritische Songs, in denen durchaus auch mal das Wort „Bullenschweine“ vorkommt. Ich halte das Plakat mit Art. 1 GG fest und schaue bedauernd in die Gesichter der Polizisten. Das hier ist nicht meine Musik und nicht meine Botschaft, die davon ausgeht, denke ich. Es ist mir irgendwie peinlich.

Neben mir ein nettes Mädchen, das ein Plakat hoch hält, auf dem etwas von „Nazischweinen“ steht. Ich schaue auf die Banderole, die ich mit festhalte, auf der Art. 1 GG abgedruckt ist: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Das schließt auch die Würde derjenigen an, die rechtsextrem denken, bei Pegida mitmarschieren und unerträgliche Parolen grölen. Das alles ist abstoßend und verwerflich, aber ich kann und darf ihnen nicht die Würde absprechen. Die widerliche Gesinnung berechtigt mich nicht zu Beleidigungen. Der Nazi ist von Art. 1 GG nicht ausgenommen und vor dem Gesetz mir völlig gleichgestellt, mit Anspruch auf Anhörung und Verteidigung. Auch das unterscheidet uns vom Totalitarismus. Haben nicht vor allem die Nationalsozialisten die Methode „kultiviert“, Juden, Homosexuelle, Andersdenkende zu ent-individualisieren, sie nur noch als Masse zu betrachten und dann schließlich mit Ungeziefer, Parasiten, Ratten zu vergleichen, also auf eine niedrigere Stufe als den Menschen zu stellen? Und dann soll es eine gute Idee sein, Rechtsextreme und Pegida-Anhänger als „Nazischweine“ zu bezeichnen (bei so manchem in einem Atemzug mit „Bullenschweinen“)? Vor einigen Monaten, als es schon einmal einen Naziaufmarsch und entsprechende Gegendemonstrationen gab, wurde für letztere mit dem Slogan „Nazis jagen!“ geworben. Sicherlich eine Rhetorik aus dem Schwarzen Block der Linksautonomen. Wieso, um alles in der Welt, glaubt man, die Werte von Frieden, Freiheit, Demokratie und Toleranz mit Begrifflichkeiten und einem Aggressionspotenzial verteidigen zu können, welches dem Repertoire eben jener Nazis entlehnt ist, die man damit bekämpfen will? Als die Rechtsextremen dann die Grietgasse entlangziehen, wird natürlich „Nazischweine“ gebrüllt und der Mittelfinger hochgehalten (womit man – vielleicht erwünschter Nebeneffekt? – gleichzeitig auch den zwischen uns stehenden Polizisten den Stinkefinger zeigt). Das ist also der angemessene Gestus, mit dem wir ihnen unsere Werte entgegenstellen?

Schließlich wurden an dem Tag noch ein Polizeiauto demoliert und ein au der Verankerung gerissenes Straßenverkehrsschild auf eine Gruppe Polizisten geschleudert (es kommt selten vor, dass ich so etwas mit eigenen Augen sehe und nicht nur im Fernsehen). Zum Glück rufen besonnene Demonstranten „Keine Gewalt!“ und man distanziert sich von den vermummten „Autonomen“. Man kann sich allerdings fragen, weshalb solche „Autonome“, die nun nicht gerade im Sinn haben, den real existierenden demokratischen Rechtsstaat und Toleranz zu verteidigen, sich bemüßigt fühlt, an einer Anti-Nazi-Demo teilzunehmen, bei der unsere Werte denen der rechtsextremen Ideologie entgegengehalten werden. Ob da nicht auch die Rhetorik und Unreflektiertheit so mancher „Läuft Nicht!“-DemonstrantInnen dazu beiträgt? Am Ende des Tages hatte ich nicht das ungetrübte Gefühl, für meine Werte und meine Vorstellung von Gesellschaft gegen rechtsextreme Ideologie eingetreten zu sein, es war mir auch ein wenig peinlich.

Einen erfreulichen Akzent gab es dann doch noch: Das Theaterhaus spielte in einer Schleife den Soundtrack aus Charlie Chaplins „Der große Diktator“, wo Führer Hinkel seine große Rede hält – ein glänzender ironischer Einfall! Schade nur, dass das nicht aus Lautsprechern direkt am Versammlungsort der Nazis deren Reden übertönte.